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Schon lange hat sich Thiel auf das Pokalspiel FC St. Pauli gegen FC Bayern München gefreut, doch ausgerechnet an diesem Abend muss sein Vater einen abgetrennten Fuß aus dem Kanal fischen. Thiel ist genervt und Boerne besorgt, denn der markant abstehende Zeh des Frauenfußes erinnert ihn an seine alte Schulfreundin Susanne Clemens.
Der Rechtsmediziner will sicher gehen und fährt mit Thiel zu Susannes Elternhaus, dort treffen sie aber nur den verletzten Vater an, der von Einbrechern überwältigt worden war. Laut ihm ist Susanne schon seit mehreren Tagen verschwunden.
Nach einer DNA-Analyse steht fest: der Fuß gehört eindeutig zu Susanne Clemens. Doch der Fuß birgt noch mehr Informationen. Feiner Sand, der in der Regel auf Tennisplätzen zu finden ist, führt Thiel bei seinen Ermittlungen in den TVC Münster, Susannes letzte Arbeitsstelle als Sekretärin. Dort wird die junge Nadine Petri als großes Tennistalent vom Verein und ihrer ehrgeizigen Familie gefördert und trainiert. Schnell erkennt Thiel, dass es zwischen Susanne und Nadine eine Verbindung gibt, doch er bohrt vorerst nicht weiter nach.
Thiel senior hat inzwischen den großen Fang gemacht: nun ist auch der Rest von Susannes Leiche im Wasser aufgetaucht. Deutliche Spuren einer Prügelei machen den Ermittler stutzig. Bald wird klar, dass Susanne nicht einfach nur eine Leidenschaft für Motorräder hatte, sondern auch Mitglied in der berüchtigten Motorrad-Gang Wotan Wolfes war, die Frauen eigentlich verachten und schon gar nicht aufnehmen würden. Wie Thiel herausfindet, führte Susanne ein gefährliches Doppelleben und gab sich mit einer Verkleidung als Mann aus, um in die Gang aufgenommen zu werden. Der Verdacht, dass Susanne sterben musste, weil ihre Tarnung aufgeflogen war, liegt nahe.
Obwohl Boerne sich eigentlich auf seine Verleihung des Wissenschaftspreises konzentrieren sollte, lässt ihn der Tod von Susanne, mit der er in Kindheitstagen gerne gespielt hatte, nicht los. Zudem werden seine medizinischen Kenntnisse bald auf ganz andere Weise erforderlich, als sich herausstellt, dass Nadine intersexuell ist und nicht weiß, wie sie damit umgehen soll. Susanne wusste davon, aber hat sie Nadine wirklich damit erpresst? Sicher ist nur, dass Nadines Karriere beendet wäre, bevor sie begonnen hat, wenn diese Tatsache ans Licht käme.
Vielleicht – so muss Thiel bald erkennen – ist der Mord aber auch ein Gemeinschaftswerk gewesen.
von Jolli
Gastdarsteller
- Anna Bullard-Werner
- David Halina
- Alain Blazevic
- Judith Engel
- Tobias Diakow
- Peter Trabner
- Felix Vörtler
- Kalle Pohl
- Artus Maria Matthiessen
- Katja Heinrich
Jolli meint:
Bei dieser Folge gab es eine kleine Besonderheit. Obwohl der offizielle Sendetermin erst auf den September gelegt worden war, durften sich schon einige Fans an einer Vorpremiere im Münsteraner Sommernachtskino freuen. Leider konnte ich bei diesem Event nicht dabei sein, aber der Zuschauerandrang spricht dafür, wieviele Leute es einfach nicht erwarten konnten.
Ich würde mal ganz frech behaupten, dass ich wirklich schon bessere Münster-Tatorte gesehen habe. Mir scheint, als ginge den Machern ein kleinwenig die Luft aus, was ich doch sehr schade finde.
Natürlich wird ein sehr heikles Thema angesprochen, worüber man in unserer Gesellschaft meistens gar nicht nachdenkt (interessanterweise hat vor Kurzem auch der Luzerner-Tatort die gleiche Thematik aufgegriffen).
Über den Fall und wie weit er nun im Vordergrund steht, was ja ständig von Kritikern angemerkt wird, lässt sich streiten. Es lässt sich aber nicht leugnen, dass wir zumindest wieder ein kleines Stückchen mehr Boerne kennenlernen.
Es ist also wieder Mal so weit, der Herr Professor erhält eine Auszeichnung. Sicher keine Seltenheit in seinem Leben, aber stolz kann er auf jeden Fall sein. Um sich auch ausreichend darauf vorzubereiten übt er seine Rede sogar vor dem Spiegel. Das ist eine Angewohnheit, die wir schon in „Ruhe sanft“ bemerkt haben. Was jedoch eher etwas ungewöhnlich ist, ist, dass er gleich auch noch selbst die Zuschauerreaktionen einbaut. Hier wird nichts dem Zufall überlassen!
Eine gewisse Eitelkeit kann man ihm auf jeden Fall auch nicht absprechen. Wenn er schon extra einen Friseur in sein Institut holt und sich von ihm schniegeln und striegeln lässt. Offensichtlich ist ihm dieser Preis noch mehr wert, als so manch anderer. Da es sich um einen Wissenschaftspreis handelt, ist eigentlich anzunehmen, dass er mit einem Forschungsprojekt zu tun hat, von dem wir aber nichts erfahren. Überhaupt ist in den früheren Episoden viel öfter darauf eingegangen worden, dass Boerne ja auch an der Universität lehrt, was aber jetzt immer mehr in den Hintergrund geraten ist .
Bei der Premiere sagte die Regisseurin Franziska Meletzky in einem Interview, dass es in dieser Folge um zwei Außenseiter ginge, die gerettet werden müssten und einer dieser beiden sei Boerne.
Außenseiter? Ist er das?
Hartes Wort, aber in gewisser Weise auch zutreffend. Es geht schon los, als er darüber nachgrübelt, wen er zur Preisverleihung mitnehmen soll. Zu so einem wichtigen Anlass nimmt man in der Regel besondere Freunde und Verwandte mit. Insgeheim denkt er wahrscheinlich schon an jemand bestimmtes, aber so recht kann er sich dazu nicht durchringen.
Dass Alberich dann die Begleiterin wird, obwohl er sie erst noch zappeln lässt, ist wenig verwunderlich. Trotz großer Worte und Gesten, die Boerne an dieser Verleihung von sich gibt, merkt man doch an Alberichs Blick, dass sie schon ziemlich gut gelernt hat, hinter seine Fassade zu schauen.
Um eine alte Frage wieder aufzuwerfen: ist Boerne einsam?
So kommt es einem zumindest vor, als er am Abend niemand anderen als sein Spiegelbild findet, der mit ihm anstößt. Eigentlich eine recht traurige Szene. Es wird deutlich, dass Erfolg nicht zwangsläufig auch Glück bedeutet. Eine Auszeichnung kann einen echten Freund nicht ersetzen.
Zum Glück besinnt er sich dann doch noch auf Thiel , auch wenn er diesen mehr weniger dazu zwingt, mit ihm das Glas zu erheben. Daraus wird dann aber noch ein langer Abend, wie wir sehen. Verrückte Sprüche haben die zwei ja schon oft losgelassen, aber jetzt sind sie wirklich sternhagelvoll. Sie trinken sogar Brüderschaft und wechseln nach so vielen Jahren sogar zum Du. Leider aber nur kurzfristig, am nächsten Morgen scheint das Saufgelage und die damit verbundenen Gespräche wieder vergessen zu sein.
Nicht vergessen hat er hingegen seine Jugendabendteuer mit Susanne Clemens. Obwohl er immer so tut, als betrachte er jeden Leichnam, der ihm ins Institut gebracht wird, mit wissenschaftlicher Nüchternheit, merkt man ihm seine tiefe Betroffenheit schon an, als er erfährt, wem der Fuß gehört hat. Auch wenn Thiel das Wort Jugendliebe fallen lässt, glaube ich, dass Boerne es ernst meint, als er dem widerspricht. Da Susanne ohnehin immer lieber ein Junge gewesen wäre, kann ich mir vorstellen, dass sie für Boerne vor allem ein Kumpel war, mit dem er durch dick und dünn gehen konnte; etwas, was ihm heute irgendwie fehlt. Und er hat sie auch nicht vergessen, denn als ihn der erste Verdacht überkommt, zieht er die Box mit den Erinnerungsstücken nicht aus irgendeiner verstaubten Ecke seines Kellers, sondern sofort aus der Schublade seines Schreibtisches.
Es ist schön zu sehen, dass Thiel die Sache auch sehr ernst nimmt. Nicht nur, dass er Nadine unterstützt, sondern auch Boerne. Immerhin fährt er mit ihm auf den Hof der Clemens‘, als dieser seinen besorgten Verdacht äußert.
Im Gegenzug leistet Boerne ihm vor dem Fernseher bei seinem geliebten Fußballspiel Gesellschaft. Nur leider hat der Professor offensichtlich Null Ahnung von Fußball. Thiels Vergleich zielt da durchaus ins richtige Loch: Boerne ist nicht für einen Mannschaftssport gemacht, er konzentriert sich viel mehr darauf, eigene Grenzen zu überwinden.
Vielleicht sollte er also einfach öfter mal versuchen, über seinen Schatten zu springen und zuzugeben, dass ihm Freundschaft sehr viel bedeutet.
Gabi meint:
Ist Boerne ein Außenseiter? Ja sicher. Das ist nach meiner Theorie überhaupt der Punkt, um den die ganze Rolle aufgebaut ist. Alles boernetypische ist seine Rüstung, die ihn vor Verletzungen schützt. Um eine Operette zu zitieren (Verzeihung, Herr Professor): ‚Immer nur lächeln…doch wie’s da drin aussieht, geht niemand was an.‘ Bei Boerne sind es die zynischen Sprüche, die seine Sensibilität verbergen.
Diese Szene, als er sich selbst vor dem Spiegel zuprostet… selten habe ich so mit ihm mitgefühlt. Toll gemacht übrigens, wie hier die Anfangsszene wieder aufgenommen wird. Erst sieht er sich im Spiegel, wie er sich sehen möchte – jetzt sieht er die Realität.
Dummerweise ist er – also Boerne – so ein guter Schauspieler, dass Thiel ihm sein snobistisches Getue tatsächlich abnimmt. So kann man auch Freunde finden, lieber Professor, aber es dauert halt wesentlich länger…
Links:
- Artikel: “Ein Mordfall für Teamplayer” zur Wiederholung von “Zwischen den Ohren” im Stern (Mai 2013)
- Video: Tatort Premiere 2011 von “Zwischen den Ohren” in Münster: Teil 1 & Teil 2 (Juli 2011)
16. Februar 2013 um 12:31
Also, ich fand „Zwischen den Ohren“ eigentlich immer als willkommene Verbesserung zwischen den eher dürftigen Folgen „Spargelzeit“, „Herrenabend“ und danach „Hinkebein“. Sowohl, was den Krimiteil als auch das Thema an sich betrifft. Aber ich gestehe, da bin ich vermutlich voreingenommen, das Thema geht mir nämlich persönlich nahe.
Und hier ist mir der Prof. abgesehen von seinem unmöglichen Verhalten am Morgen nach dem Saufgelage (das aber rein dramaturgisch nötig war, denn ein Boerne und Thiel werden sich auch im Altersheim als Grumpy Old Men noch siezen) erstmals wieder sympathisch. Nicht nur, dass er als präpubertärer Jüngling eine burschikose Freundin hatte, er hat sogar die Offenheit, die geschlechtliche Identität nicht an den biologischen Merkmalen festzumachen. Für einen sonst eher konservativen Charakter eigentlich erstaunlich.
Was die „Jugendliebe“ angeht: Als Thiel das sagt, hat er noch keine Ahnung davon, dass Susanne transsexuell war, daher sei ihm verziehen. Obwohl ich für Thiel einen soft spot habe und ihn fast immer entschuldige, hier halte ich es für gerechtfertigt.
Schön zu sehen, wie er von dem Thema wesentlich überforderter ist als Boerne, er sich aber dennoch Mühe gibt und nicht in plattes Klischeedenken verfällt. Das einzige, was mich hier gestört hat, war, dass zwar sehr genau das Phänomen der Intersexualität erklärt wird, nicht aber die Transsexualität, die ja bei Susanne der Fall war. Die war kein „Zwitter“, die war eine biologisch eindeutige Frau, die sich zwischen den Ohren aber als Mann verstand.
Die Sache mit dem Pullover war ein sehr gelungener kleiner Running gag, vor allem die Szene mit Alberich, die den Pulli ja nur halb hochziehen sollte, und natürlich davon ausgehen musste, dass Thiels verblüfftes „Wahnsinn, Sie sind eine Frau!“ sich auf den Anblick ihres Busens bezog.
Ganz „dezent“ wurde dann auch noch ein schwuler Friseur eingebaut (wenn wir schon beim Thema sind, nicht?), und es darf auch erlaubt sein, über Boernes eigene Position nachzudenken. Woher weiß der denn von diesem Pulli-Trick? Warum fühlte und fühlt der sich immer wieder zu eher dominanten oder zumindest durchsetzungsfähigen Frauen hingezogen? Ich behaupte mal, Boernes Fassade deckt zu einem Gutteil auch diese gewaltige Sensibilität zu, die er vor sich und der Welt verheimlicht.
16. Februar 2013 um 12:47
„Ich behaupte mal, Boernes Fassade deckt zu einem Gutteil auch diese gewaltige Sensibilität zu, die er vor sich und der Welt verheimlicht.“
Jaaa! Sag ich doch! Ich stimme dem Kommentar in allen Punkten zu.
16. Februar 2013 um 13:37
Wäre er ein realer Mensch, würde ich dir ja auch generell Recht geben. Aber Boerne ist in seinem Sein leider von den Drehbuchautoren abhängig, und wenn die durch die Bank beschließen, dass sie jetzt doch lieber nur den aufgeblasenen Teil von ihm zeigen, ohne Hinweis auf ein „Dahinter“, dann wird er eben zum reinen Kotzbrocken.
„Wolfsstunde“, „Satisfaktion“ und „Zwischen den Ohren“ wurde nicht von Hinter/Cantz geschrieben, „Krumme Hunde“, „Ruhe sanft“ und „Hinkebein“ zB schon. Zwar gilt das Team als Erfinder des Münsteraner Teams, aber ich habe den Eindruck, als würden die eben mit Vorliebe auf Oberfläche setzen. Möge mich „Summ, summ, summ“ eines Besseren belehren. :-)
16. Februar 2013 um 23:24
„“Wolfsstunde”, “Satisfaktion” und “Zwischen den Ohren” wurde nicht von Hinter/Cantz geschrieben, “Krumme Hunde”, “Ruhe sanft” und “Hinkebein” zB schon. Zwar gilt das Team als Erfinder des Münsteraner Teams, aber ich habe den Eindruck, als würden die eben mit Vorliebe auf Oberfläche setzen. “
So habe ich das noch gar nicht betrachtet. Ich werde in Zukunft darauf achten. Und ich gebe dir vollkommen Recht was seine Sensibilität angeht. Ich finde es schön, dass das in dieser Folge angedeutet wurde.
28. November 2017 um 15:41
Ich habe Wiederholung vor ein paar Wochen im Fernsehen verpasst. Da eine gute Freundin mir die DVD Box zum Geburtstag geschenkt hat, habe ich sie mir gestern Abend angeschaut. An die Erstausstrahlung konnte ich mich nicht mehr sonderlich gut erinnern. Alles in Allem fand ich die Folge gut. Es ist keine meiner Favoriten. Dafür gefällt mir die ganze Stimmung nicht. Was mir sehr gut gefallen hat ist, dass wieder mehr über die Jugend von Boerne preisgegeben wurde, die die Ursache für viele seiner Verhaltensprobleme ist. Susanne Clemens war eine Kameradin für ihn. Vielleicht passt Leidensgenossin besser, denn auch Boerne war anscheinend ein Aussenseiter. Das wurde in Das ewig Böse auch schon angerissen. Dass er sehr viel Empathie für Aussenseiter hat zeigt Schwanensee in Perfektion. Ist Boerne einsam? Natürlich ist er das. Es bedarf nicht Wolfsstunde, um das zu realisieren. Sein Spruch in Das ewig Böse zu Zita Keller: „Ich habe keine Freunde“ ist bezeichnend. Natürlich hat er einen Freund und einen sehr guten, loyalen nämlich Thiel. Thiel gefällt mir in dieser Folge wieder sehr gut, weil er sehr gute Polizeiarbeit leistet und weil er zwischen den Zeilen liest. Das ist das, was Boerne oft fehlt. Freunde ergänzen sich oft und das ist hier definitiv der Fall.