Jan Josef Liefers

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Der Turm (2012)

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Inhalt:

Dresden 1982. Auf den ersten Blick wirkt alles perfekt. Die Familie Hoffmann führt ein sorgenfreies, bildungsbürgerliches Leben im Nobelviertel „Weißer Hirsch“. Vater Richard (Jan Josef Liefers) ist ein erfolgreicher Chirurg und macht sich große Hoffnung, bald zum Klinikchef ernannt zu werden; Sohn Christian (Sebastian Urzendowsky) besucht ein Eliteinternat und verschreibt sich ganz der Musik und Literatur; und Mutter Anne (Claudia Michelsen) bleibt die gute Seele der Familie, mit einem großen Herzen auch für ihre Freundin, deren Mann in den Westen geflohen ist. Und dann wäre da noch Onkel Meno (Götz Schubert), der ganz in seinem Beruf als Lektor aufgeht.

Aber der Schein trügt. Hinter der schönen Fassade zeigen sich hässliche Risse. Richard führt schon seit Jahren ein Doppelleben. Mit Josta Fischer (Nadja Uhl), der Sekretärin des Chefarztes, hat er eine fünfjährige Tochter  namens Lucie. Josta hofft schon lange, dass sich Richard endlich zu ihr und Lucie bekennt und seine Frau verlässt, doch ihre Hoffnung bleibt vergebens, während Anne nichts vom Verhältnis ihres Mannes ahnt. Ohnehin plagen Richard ganz andere Sorgen. Schon bald soll der Posten des Klinikchefs vergeben werden und er ist der Überzeugung, dass niemand außer ihm selbst die nötige Qualifikation dafür hat. Doch auf Eignung allein kommt es im sozialistisch geführten Staat nun mal nicht an.

Christian vergräbt sich indessen in seine Bücher. Er bemüht sich um gute Noten, um eines Tages seinem Vater nachzueifern und selbst einmal Arzt zu werden. Doch immer wieder scheitert er an Richards hohen Erwartungen und zudem gilt er unter seinen Mitschülern als Außenseiter, weil er sich vollkommen zurückzieht. Allein die schöne Reina (Josephin Busch) scheint ein Auge auf ihn geworfen zu haben.
Auch Meno hat mit Problemen zu kämpfen. Sein Chef verlangt von ihm eine rigorose Zensur der Bücher, als deren Lektor er agiert. Zu diesen zählt auch ein Werk von Judith Schevola (Valery Tscheplanowa), die sich weigert, unter diesen Bedingungen noch weiterhin im SED-regierten Land zu bleiben und viel lieber in den Westen will. Meno ist fasziniert vom Charisma der Frau und bittet sie inständig zu bleiben. Er selbst bringt jedoch nicht den Mut auf, seine eigene Kritik am System offen auszusprechen.

Währenddessen steht Richard vor einer folgenschweren Entscheidung. Einst unterschrieb er als junger Mann eine Erklärung, um als Informant für die Stasi zu arbeiten und obwohl er dem seither nie mehr nachgekommen war, kommen die Männer nun auf ihn zurück. Richard bereut längst, was er damals getan hat, aber nun hat er keine Wahl, denn durch sein heimliches Verhältnis mit Josta ist er erpressbar geworden und er träumt ja noch immer vom Posten als Klinikchef. Also stimmt er zu und manövriert sich damit nur noch tiefer in sein Dilemma. Als er versucht, den Kontakt zu Josta und Lucie abzubrechen, erleidet Josta einen Nervenzusammenbruch und versucht sich umzubringen.

Veränderungen stehen auch für Christian an. Nach seinem erfolgreichen Schulabschluss muss er sich drei Jahre für die Nationalen Volksarmee verpflichten. Er glaubt, nur so später einen Studienplatz zu bekommen und versucht sich durchzubeißen. Aber als ein Kamerad während eines Manövers stirbt, hält er dem Druck nicht weiter stand und zeigt seine Verachtung gegen das System offen. Ein schlimmer Fehler, denn nun droht ihm eine Haftstrafe.

Doch das Land nähert sich einem Wandel. Es ist das Jahr 1989. Die Unzufriedenheit der Bürger wächst und mit ihr formiert sich eine immer stärker werdende Oppositionsbewegung.  Und während Richard völlig resigniert, weil er erkennt, dass er nicht nur niemals Klinikchef werden wird, sondern auch Anne längst verloren hat, entdeckt Anne endlich, wofür es sich zu kämpfen lohnt und geht für ihre Überzeugung auf die Straße.
Aber noch hat die politische Führung nicht vor, sich das Heft aus der Hand nehmen zu lassen und ordnet dementsprechende Maßnahmen an.

von Jolli


Der Turm: Soundtrack


In ‘Der Turm’ wird ‘Am Fenster’ angespielt; hier eine Liveversion von 1978.


Gabi meint:

Schon im Vorfeld fand die zweiteilige TV-Verfilmung des Romans von Uwe Tellkamp viel Beachtung. Interviews, Vorab-Kritiken, eine eigens eingerichtete Website sollten die Aufmerksamkeit des Publikums erregen, und es gelang: trotz des zeitgleich laufenden Championsleague-Spiels erreichte der erste Teil am 3. Oktober 2012 7,5 Millionen Zuschauer entsprechend einem Marktanteil von 21,3 %. Der zweite Teil kam auf 19,7%. Das Team kann zu Recht stolz sein auf diesen Erfolg.

Die Reaktionen von Kritik und Publikum waren ganz überwiegend positiv. Vor allem das Ensemble wurde so gut wie ausnahmslos gelobt. Einige beispielhafte Kritiken sind in der Linksammlung weiter unten nachzulesen. Es gab auch kritische Stimmen, vor allem, was die Darstellung der Verhältnisse in der DDR angeht. Während einige alles übertrieben finden und ‚Ossi-Bashing‘ argwöhnen, geht anderen die Kritik nicht weit genug.

Ich habe weder Verwandte noch Bekannte im Osten und dachte bisher, ich sei unvoreingenommen. Durch diesen Film wurde mir wieder bewusst, wie stark wir im Westen indoktriniert wurden, lange vor den 80ern. In der Grundschule, Mitte der 60er, packten wir Care-Päckchen mit Lebensmitteln und Kaffee für die ‚drüben‘ – in meiner kindlichen Vorstellung waren unsere Brüder und Schwestern so in etwa dasselbe wie die armen Negerkinder. Zehn Jahre später glaubte ich allen Ernstes an den Sieg des Sozialismus, den mir redegewandte junge Männer sowohl von der linksintellektuellen Fraktion (das frauenverachtendste Gesocks, das mir je begegnet ist, btw) als auch von der SDAJ (Jugendorganisation der DKP) mit absoluter Sicherheit voraussagten. Ich habe auch Marx gelesen. Aber das war alles sehr theoretisch. Eine konkrete Vorstellung von der DDR, den Menschen, die dort lebten, hatte ich nicht. Man hörte von Flüchtlingen, von Schüssen an der Mauer; ein einziges Mal war ich zu der Zeit in Berlin, wir fuhren durch gefühlte tausend Kilometer Wald, und an der Grenze übersah unser Fahrer wahrhaftig ein Haltesignal, worauf jemand mit einem Gewehr uns aufhielt. Sehr surreal alles, unwirklich, wie im Film. ‚Die Legende von Paul und Paula‘ habe ich gesehen; meine Erinnerung daran ist nicht viel mehr als ein Gefühl: Traurig. Und trist.

Der Film ‚Der Turm‘ dagegen bringt mir dieses Land nahe. Ob alles bis ins Detail authentisch ist, spielt keine Rolle. Zunächst fallen merkwürdigerweise die Gemeinsamkeiten auf, im zwischenmenschlichen Bereich könnte sich vieles hier genau so abspielen, der patriarchalische Vater, die außereheliche Affäre, der Konkurrenzkampf um den besseren Posten und die besseren Beziehungen, Mobbing des introvertierten ‚Strebers‘ in der Schule: das sind alles Situationen, die nicht von einem politischen System abhängen. Aber durch den allgegenwärtigen Druck, die Überwachung und die ernsten Konsequenzen ‚politisch unkorrekten‘ Verhaltens bekommt alles eine andere Dimension, haben menschliche Schwächen Auswirkungen, die über das private Drama hinausgehen.
Am Beklemmendsten fand ich die Situationen in der Schule, allein schon die Aufsatzthemen, das FDJ-Tribunal, das Duckmäusertum, das den jungen Leuten aufgepreßt werden sollte. Auch wenn sich das beim Militär konsequent fortsetzte, dort wirkte es für mich nicht so furchtbar falsch – vom Militär erwartet man Drill und hierarchische Strukturen. Die Schule sollte ein Ort sein, der freies Denken fördert – ja, ich weiß, darüber könnte man auch hierzulande in Hohngelächter ausbrechen…

Stilistisch ist der Film schon fast mit einem Bilderbogen zu vergleichen, Momentaufnahmen reihen sich aneinander und ergeben doch eine Entwicklung und ein stimmiges Gesamtbild. Insgesamt sehr unaufgeregt, keine Melodramen und eine ruhige, unaufdringliche Musik. Die Charaktere, jeder für sich, hinterlassen nachhaltigen Eindruck, vor allem die starken Frauenfiguren sind hervorzuheben, glänzend gespielt und den Männern charakterlich weit überlegen. Einzig der junge Christian kann moralisch neben ihnen bestehen. Und doch möchte ich hier den Beitrag eines Users auf Jans Facebookseite zitieren:
Aber über allen dominiert Liefers. Dominiert, ohne das Spiel zu zerstören, ohne sich mit Gewalt in den Vordergrund zu drängen. Ein Widerspruch? Mitnichten. Er dominiert das Spiel, ohne (den hervorragenden) Urzendowsky oder Michelsen (einfach nur toll) an die Wand zu spielen. Die Mitstreiter können durchaus mithalten.
Aber Liefers spielt eben besonders. Zeigt, dass mitreißendes und spannendes „großes Kintopp“ nicht auf Knall und Explosion angewiesen ist. Zeigt, dass eine Geste, eine bestimmte Mimik mehr ausdrücken kann, als gefühlte 275.867 Tonnen TNT. Liefers zeigt mit einem einzigen Ausdruck die Zerrissenheit, die der Protagonist fühlt, die ausweglose Situation, in der er sich befindet.‘

Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu, ich glaube, ich habe sie so ähnlich auf diesen Seiten schon mehrfach formuliert, aber schön, dass durch den ‚Turm‘ auch andere sehen, dass (Zitat desselben Users)  Liefers  mehr ist als nur ein vorbestrafter Junkie, der eine Truppe gelangweilter Rentner auf die Showbühne treibt … oder nur ein verschrobener, brillant-bekloppter Rechtsmediziner.


Jolli meint:

Es ist Weihnachten. Vier Weihnachtsmänner mit langen roten Mänteln und schneeweißen Kunstbärten zerschneiden einen Maschendrahtzaun, um in das dahinterliegende Forstgelände zu gelangen. Ihr Ziel: einen Weihnachtsbaum klauen und zwar noch bevor es der Pfarrer tut.
So beginnt die Romanverfilmung von Uwe Tellkamps „Der Turm“. Der amüsante Start zeigt, dass wir es mit diesem Zweiteiler nicht mit einem durchwegs hochdramatischen und bitterernsten Film zu tun haben. Gelegentliche heitere Momente sorgen dafür, dass man als Zuschauer mit der Thematik nicht vollkommen überfordert ist.

Ich war sehr gespannt auf den Film, nicht nur weil er schon lange vorher mit Interviews und Pressemitteilungen angekündigt wurde. Von Alter und Herkunft her gehöre ich zu den Menschen, die die Wendezeit nur aus dem Geschichtsunterricht kennen, der sich immer nur mit den trockenen, politischen Fakten befasst und in unseren Köpfen ein sehr intensives Schwarz-weiß-denken hinterlassen hat. Vielleicht habe ich mir wirklich erhofft, ein klein wenig mehr von dieser Zeit und ihren Menschen zu verstehen und ich muss sagen, ich wurde nicht enttäuscht.

Vieles, was man heute vielleicht fast schon als klischeehaft empfindet, wird aufgegriffen. Das sieht man schon an der oben beschriebenen Szene. Diebstahl gehört nun mal dazu, wenn das System solch einfache Dinge wie einen Weihnachtsbaum verweigert. Auch, dass man sich gegenseitig einen Gefallen leistet, um etwas zu erreichen, weil Geld allein völlig bedeutungslos ist, ist gang und gäbe. Und dann wäre da natürlich noch die Stasi, die überall ihre Augen und Ohren hat und immer dann auftaucht, wenn es am unangenehmsten ist.
„Der Turm“ zeigt sehr anschaulich, dass es für die Menschen zwei verschiedene Leben gegeben hat. Das Schweigen und Akzeptieren nach außen hin und die offene Kritik im Kreis der Familie. Der Titel verweist nicht umsonst darauf, wie sich die Figuren versuchen in ihrer eigenen kleine Nische gegen die Welt nach außen abzuschotten.

Der Film glänzt mit einer erstklassigen Besetzung und interessanten Charakteren. Nur gut und nur böse gibt es nicht. Jeder hat irgendwo seine Stärken und seine Schwächen, so wie es doch nur menschlich ist. Ich habe den Roman vorher nie gelesen, ich kann also nicht beurteilen, wie stark oder wie wenig sich die Charaktere in Buch und Verfilmung ähneln. Ich kann nur sagen, dass ich alle Figuren, so wie sie im Film gezeigt wurden, sehr realitätsnah fand. Wenn man einmal die Grundsituation ausblendet – völlig unabhängig davon wann und wo der Film spielt – dann wird man mit durchwegs natürlichen Problemen konfrontiert: die Fixierung auf ein bestimmtes Ziel und die tiefe Enttäuschung, dieses durch widere Umstände nicht erreichen zu können; der Erfolgsdruck von außen, dem man oft nicht gerecht werden kann; die eigenen Wünsche anderen Dingen unterzuordnen; die Angst in schweren Entscheidungen die falsche Wahl zu treffen.

Man könnte Seiten füllen, wenn man jeden der Charaktere analysieren wollte. Besonders beeindruckt hat mich Anne Hoffmann (nicht nur, weil ich Claudia Michelsen für sehr sympathisch halte). Man sieht im Film nicht genau, wann und wie sie von der Geliebten ihres Mannes erfährt. Geahnt hat sie es wahrscheinlich schon lange. Aber statt eine große Szene mit aller Dramatik zu machen, wie man es heutzutage so oft im Fernsehen zu sehen bekommt, verlässt sie Richard nicht und lässt ihn auch nicht im Stich, als er wegen des herben Rückschlags bezüglich des Klinikchefpostens völlig resigniert.
Das macht diesen Film so angenehm, dass er ohne jede Übertreibung auskommt. Natürlich hat die ein oder andere Figur hin und wieder einen Anfall von Wut und Hysterie. Man denke nur an Jostas Zusammenbruch im Treppenhaus oder Christians Wutanfall, als sein Freund im Manöver stirbt. Doch diese Emotionen wirken gerade weil sie nur in bestimmten Situationen aufblitzen so verständlich. So wie wir auch gern hin und wieder mal unseren Frust rauslassen, in anderen Lagen, aber versuchen ruhig zu bleiben.
Übertreibungen sind in diesem Film gerade deshalb so unnötig, weil die Kunst der Darsteller, die Gefühle in Gestik, Mimik und Tonfall so deutlich herüberzubringen, völlig ausreicht. Oft sind es die stillen Momente, die am eindrücklichsten sind.

Ich finde der Versuch, Richard Hoffman trotz seiner Fehler in gewisser Weise auch zu einem Sympathieträger zu machen, wie es Jan im Voraus in diversen Interviews angedeutet hat, ist gelungen (wie gesagt, ich kenne das Buch nicht). Natürlich führt sich Richard in einigen Lagen als unerträgliches Arschloch auf, etwa als er den jungen Neuling während der OP völlig aus der Fassung bringt, oder wenn er seinen Sohn unnachgiebig auf Erfolg drillt. Es ist sicher auch nicht richtig, die Frau zu betrügen und die eigene Tochter zu verleugnen. Dann aber flackern wieder die anderen Momente auf, wenn er während der Messe mit Christian über den krüppeligen Weihnachtsbaum des Pfarrers lacht oder wenn er sich irgendwo versteckt, nur um Lucie nochmal sehen zu können.

Richard ist zerrissen zwischen zwei Seiten in sich, zwischen denen er sich nicht richtig entscheiden kann. Einerseits hat er eine innere Ablehnung gegenüber dem System und er liebt sowohl Anne und Christian, als auch Josta und Lucie. Doch er ordnet diese Gefühle dem egozentrischen Bild unter, das er sich selbst erschaffen hat und in dem Erfolg alles bedeutet. Er richtet sich völlig auf dieses Ziel aus, einmal Klinikchef zu werden, vielleicht weil er sich auch sich selbst etwas beweisen will, und nimmt dafür sogar in Kauf, die eigenen Überzeugungen zu verraten. Diese Fixierung ist so stark, dass er am Ende, als er erkennen muss, dass er diesen Posten niemals bekommen wird, völlig zusammenbricht. Und als er dann nach seiner Therapie zurückkommt und das ganze Land im Umbruch ist, da ist er ohne jegliche Perspektiven, denn er hat alles verloren, was ihm einmal etwas bedeutet hat.
Ja, man kann sagen, dass Richard Hoffmann eine tragische Figur ist, die sich durch völlig menschliche Fehlentscheidungen in eine aussichtslose Situation manövriert.
Errare humanum est. Die Frage „Dafür oder dagegen?“ zieht sich durch den ganzen Film und nicht immer wird die richtige Wahl getroffen. Deshalb gibt es auch keinen strahlenden Helden und keinen verhassten Bösewicht.

Ich kann jedem diesen Film nur empfehlen, nicht nur weil man eine Meisterleistung an Schauspielkunst zu sehen bekommt, sondern weil man vielleicht auch einen ganz neuen Blick auf ein Stück jüngster, deutscher Geschichte erhält.


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