Inhalt:
Ein Mord trübt die friedliche Idylle von Wolbeck, einem kleinen Vorort von Münster. Raffael Lembeck, der Heilpraktiker des Dorfes, der mit seiner Frau Stella ein beschauliches Leben zwischen Hunden, Katzen und Pfauen auf einem alten Hof geführt hat, wird erschlagen in seinem Arbeitszimmer aufgefunden. Hauptkommissar Thiel ist wenig begeistert von der ländlichen Ermittlung, doch noch weniger Begeisterung zeigt er in einer Zusammenarbeit mit Boerne. Der Grund für ihr Zerwürfnis sind 120 Euro Spielschulden, die der Rechtsmediziner bei ihm hat. Doch dieser will nicht einsehen, dass er ihre gemeinsame Schachpartie verloren hat und so kommunizieren sie lieber über Dritte, als sich zu einigen.
Doch wie so oft müssen beide erkennen, dass sie den Fall nur lösen können, wenn sie zusammen arbeiten, daher einigen sie sich zumindest auf einen vorübergehenden Waffenstillstand.
Mit Sturschädeln hat Thiel nämlich schon so genug zu tun. Die drei Brüder Krien hatten einst dem Toten den alten Hof ihres Vaters verkauft, dabei gab es jedoch einige Ungereimtheiten, die es zu klären gilt. Doch die drei Landeier verweigern die Kooperation; mangels Interesse oder mangels Verstand, da ist sich Thiel nicht sicher.
Rätsel gibt ihm auch Milena Kintrup, die Frau des Nachbarbauern auf. Sie kümmert sich rührend um ihren kleinen Sohn Theo, doch zwischen den Eheleuten bestehen spürbare Spannungen. Thiel wird den Verdacht nicht los, dass Milena einst ein Verhältnis mit Lembeck hatte. Unbegründet ist diese Vermutung zumindest nicht, denn einst waren Milena und Stella beste Freundinnen, doch diese Freundschaft ist längst zerbrochen.
Boerne hat inzwischen ganz andere Sorgen. Nicht nur, dass er Moritz Kintrup versprochen hat, sich um den paarungsunwilligen Zuchtbullen zu kümmern – vor allem mit dem Hintergedanken, möglichst unauffällig seine eigenen Ermittlungen anzustellen –; eine gefräßige Ziege macht ihm auch noch ernsthafte Probleme, als sie wichtige Beweismittel in einem unbeobachteten Moment vertilgt. Boerne hat keine andere Wahl, er muss Ziege Mimi mit in die Rechtsmedizin nehmen, um die Haare des Verdächtigen persönlich aus dem Magen herauszuholen. Doch trotz einer eilig eingeleiteten OP von Boerne und Alberich kommt jede Hilfe für das Beweismittel zu spät. Die Verdauung war schneller.
Ganz nutzlos war dieser kleine Zwischenfall aber nicht. Zwischen Mimi und Boerne entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft.
Mittlerweile hat Thiel erkannt, worin Lembecks Spezialgebiet wirklich bestand, nämlich in der Kinderwunschbehandlung, die er jedoch ohne offizielle Genehmigung und unter größter Diskretion durchführte. Es ist mal wieder Thiels Vater, der den entscheidenden Hinweis liefert, denn ausgerechnet er ist es, der die angereisten Damen aus aller Welt vom Flugplatz abholt, um sie auf Lembecks Hof zu kutschieren. Für Herbert Thiel ein lukratives Geschäft, für seinen Sohn aber nur ein weiteres Indiz für dessen Dreistigkeit.
Bald wird klar, dass Lembeck mit ganz anderen Methoden praktizierte als mit Homöopathie und Akkupunktur. Ist womöglich auch Theo ein Kind dieser künstlichen Befruchtungen? Der Verdacht gegen Bauer Kintrup erhärtet sich, nicht nur bei Thiel, sondern auch bei Boerne, der im Gesicht des Toten einen markanten Siegelringabdruck identifizieren konnte. Vielleicht war es aber auch dessen Mutter Ruth, die ganz offensichtlich noch ein Geheimnis hütet.
Die Lage spitzt sich zu, als die Witwe Stella, die den Tod ihres Mannes einfach nicht verkraften kann, einen völligen Nervenzusammenbruch erleidet und Theo entführt. Thiel und Boerne jagen die hysterische Frau in einer wilden Verfolgungsjagd bis zum Hafen von Münster, wo sie droht, sich und das Kind in die Tiefe zu stürzen. Ist sie womöglich doch die Mörderin ihres Mannes, der jedem ein Kind schenkte, nur nicht seiner eigenen Frau?
von Jolli
Gastdarsteller
- Stephan Kampwirth
- Hildegard Schmahl
- Lina Beckmann
- Julia Krynke
- Johannes Rotter
- Jan-Peter Kampwirth
- Mirco Reseg
- Kerstin Römer
- Lisa Feller
- Oliver Fleischer
Gabi meint:
Das war sie also, die lang erwartete und schon vor Ausstrahlung heftig diskutierte und kritisierte Jubiläumsfolge des Tatort Münster. Nach allem, was ich bisher gelesen und an Trailern gesehen hatte, war meine Befürchtung, die Reihe würde nun endgültig ins Genre Comedy überwechseln – eine Bezeichnung, die ich bisher energisch bestritten habe. Die Befürchtung war zum Glück nicht berechtigt.
Die Folge wurde in manchen Rezensionen als ‘Wildwest im Münsterland’ angekündigt, und die Countrymusik unterstrich das auch. Mich hat die Atmosphäre viel eher an einen britischen Krimi erinnert, etwa aus der Miss Marple- oder noch eher der Inspektor Barnaby-Reihe: die weitgehend abgeschlossene Szenerie; ein Dorfgeheimnis, wortkarge, eigenwillige Einwohner, eine harte alte Frau, die stoffeligen ‘bauern’schlauen Landwirte, viel Landschaft und Tiere. Super fand ich das Spiel mit dem Klischee in der Szene mit dem hinter der Zeitung lauschenden Boerne, die er dann mit ‘fehlte nur noch das Loch in der Zeitung’ ironisch kommentierte. Gut gespielte Episodenrollen, wie so oft vor allem die Frauen. War es wichtig, wer nun der Täter war? Nein. War es spannend? Nicht im Thriller-Sinn; aber emotional stark.
Ja, es gab ein paar nicht allzu feine Scherze. Boernes ‘Unfall’ mit dem Bullen lief aber eher beiläufig ab und wurde nicht effekthascherisch breitgetreten; die eindeutigen Gesten, mit denen Boerne die Insemination des Tieres erläuterte, passen zu ihm, schließlich ist er absolut peinlichkeitsresistent. Und es gab ein paar Streitereien zwischen ihm und Thiel, die diesmal ein wenig forciert wirkten, weil’s halt dazu gehört, dass die beiden sich streiten.
Aber von ‘nur Klamauk’ kann keine Rede sein, im Gegenteil, verglichen mit anderen Folgen trat dieser Aspekt in den Hintergrund und war überhaupt nicht überzogen. Die Geschichte mit der Ziege Mimi, die Boerne so ans Herz wächst, zeigt eine überraschend weiche Seite des sonst so kaltschnäuzigen Professors, die er selbst beim Abschied von dem Tier nur halb selbstironisch thematisiert. Das hätte peinlich sein können, war es aber nicht.
In der zweiten Hälfte war dann der ‘komische’ Part weitgehend erledigt, und das tat der Folge überraschend gut. Stark gespielte Szenen, wie die der verzweifelten Frau mit dem entführten Baby oder die traurige, aber nicht tränenselig erzählte Geschichte der Mutter standen im Vordergrund. Vadder Thiels schlitzohrige Geschäftemacherei und der Auftritt der Staatsanwältin waren eher unspektakulär, gehören aber zu einem richtigen Münster-Tatort eben dazu. Alberich wurde einmal nicht das Opfer schlechter Zwergenwitze, man hat das auch nicht vermißt.
Dieser Tatort fühlte sich anders an als die vorherigen, und für meinen Geschmack kann man ruhig in dieser Richtung weiter machen. Die ewigen Antagonisten Thiel und Boerne wissen einander längst zu schätzen, und ihre Wortgefechte sind mehr Ritual als echter Streit. Wenn Boernes Eloquenz künftig andere Opfer findet, hätte ich nichts dagegen.
Jolli meint:
Nun kennen wir sie also, die mit Spannung erwartete Jubiläumssendung. Einige Bilder waren ja schon lange durch die Medien gegeistert, angefangen von der unliebsamen Erfahrung mit dem Zuchtbullen bis hin zur süßen Ziege Mimi. Verwunderlich war nur, dass gerade zum Jubiläum die Handlung weg von Münster, hinein in die bäuerliche Provinz verlagert wurde und die sonst so häufig auftretenden Nebendarsteller wie Nadeshda, Vater Thiel oder die Staatsanwältin, nur einen sehr kleinen Part in der Handlung bekommen haben. Nur Christine Urspruch alias Alberich war etwas länger mit von der Partie.
An keinem Münster-Tatort haben sich die Geister so geschieden wie an diesem. Aber ich werde diese Diskussion nicht noch weiter breittreten (dieser Beitrag sagt alles, was ich dazu zu sagen habe). Zugegebenermaßen muss ich sagen, dass ich die Folge zweimal sehen musste, bis ich mir eine vollständige Meinung bilden konnte, aber so konnte ich auch die Details genau begutachten, die vielleicht beim ersten Blick übersehen werden können.
Lassen wir vorerst die Story beiseite. Tatsächlich sind mir die ungewöhnlich schnellen Sprünge in den Kameraeinstellungen aufgefallen, was mir nicht so liegt, weil ich gerne Zeit habe, im richtigen Moment auch die Gestik und Mimik der Personen ausreichend zu studieren. Es verleiht manchen Szenen eine Hektik, die nicht unbedingt sein muss.
Lustig war auf jeden Fall die Musik, die dem Ganzen ein Country-Flair verliehen hat. Boerne im Cowboy-Look hat das ganze noch sehr amüsant unterstrichen. An anderer Stelle hat mich die Hintergrundmusik ein wenig an die schwedischen Wallander-Verfilmungen erinnert. Sicher nur eine eigene verquere Assoziation, die ich dem Moment aber als sehr positiv aufgefasst hab.
Und nun zur Handlung. Ich fand das Maß an Komik in dieser Episode alles andere als zu hoch geschraubt. Ich persönlich vertrage auch sehr gern mehr (man bedenke, dass meine Lieblingsepisoden „Höllenfahrt“ und „Tempelräuber“ sind), aber von Albernheiten oder niveaulosen Scherzen habe ich ganz sicher nichts gesehen – ok, vielleicht mal abgesehen von der „Lottoziehung“ des Vaterschaftstests, das war wirklich albern.
Die Dialoge haben mir teilweise sogar sehr gut gefallen, etwa wie:
Kintrup: „Keine Zeit, mit jemandem befreundet zu sein, der so viel quatscht.“
Thiel: „Das Problem kenn ich.“
Boerne: „Ich steh direkt neben Ihnen, ich höre Sie.“
Überhaupt hat mir die Beziehung zwischen Thiel und Boerne in dieser Folge sehr viel besser gefallen, als in vorherigen Episoden wie „Hinkebein“ oder „Herrenabend“. Obwohl sie sich wegen der Spielschulden am Anfang wie ein altes Ehepaar bekriegen, arbeiten sie doch zur Lösung des Falls wieder Hand in Hand zusammen – trotz Boernes üblichen Eigenermittlungen. Schon allein die Aktion mit der Zeitung beweist doch, dass sie ein tolles Team sind.
Eigentlich erfährt man sogar sehr viel über Boernes Charakter, wenn man mal etwas genauer hinschaut. Da wäre natürlich die Angelegenheit mit der Ziege.
Mimi ist ganz klar der Star der Folge. Allein schon der Moment, als Boerne Thiel fragt „Was haben Sie denn da in Ihrer Tasche?“ und Mimi sofort genüsslich mit der Zunge über die Lippen schleckt, war genial. Dass sich Boerne so mit dem Tier anfreundet verwirrt auch Alberich, wie man deutlich an ihren Blicken sehen kann. Viel wichtiger ist aber, sich in Erinnerung zu rufen, warum Boerne das alles überhaupt so wichtig nimmt: er hat nicht aufgepasst und deshalb gingen entscheidende Beweismittel verloren. Dieser Fehler ist ihm zweifellos peinlich, deshalb versucht er das Ganze wieder auszubügeln, wenn auch mit unkonventionellen Mitteln. Wie schwer es ihm fällt, diesen Fehler zuzugeben, sieht man sehr schön in der Szene, als ihn Thiel auf die Geschichte mit der Ziege anspricht.
Kriminalistisches Gespür beweist er mit seinem Lockmanöver für Kintrup, nur weiß man als Zuschauer schnell, dass da einfach was schieflaufen muss. Alberich und Boerne sind trotzdem ein tolles Team bei dieser Aktion, und dass Alberich für einen Moment wenigstens einmal ihren Chef überragt, als sie auf das Gatter klettert, kann er irgendwie kaum ertragen. Dass er seine Assistentin in der ganzen Aufregung dann schlussendlich „vergisst“, sieht ihm mal wieder ähnlich. Ich liebe die Szene, als sie mürrisch zurück in die Stadt radelt.
Alles in dieser Folge dreht sich um das Thema Kind. Dass Thiel gut mit den Kleinen kann, wissen wir ja spätestens seit „Fakten, Fakten“, und nun singt er dem kleinen Theo auch noch ein Schlaflied vor. Aber wir wissen auch, dass Thiel ja selbst einen Sohn hat, also steht ihm die Vaterrolle ohnehin ganz gut. Anders sieht es da mit Boerne aus. Seine Ehe ist nicht nur gescheitert, sondern auch kinderlos. Klischeehaft wäre es also, wenn der geniale Snob nicht nur Erwachsenen gegenüber überheblich auftritt, sondern auch noch eine Abneigung gegen Kinder hätte. Ein sehr beliebtes Charakterbild in manch anderen Filmen. Aber wie wir sehen, trifft das ganz und gar nicht auf Boerne zu. In der Szene, als er Theo auf den Arm nimmt, merkt man doch, dass in ihm doch noch viel mehr von einem Familienmenschen steckt, als alle denken.
Mein Fazit ist, dass alles danach wirkt, als wollten die Macher eine Umorientierung versuchen, weg von dem berüchtigten „Klamauk“, der der Sendung immer wieder vorgeworfen wird. Dieses veränderte Konzept hat noch seine Startschwierigkeiten, was natürlich noch Luft nach oben lässt. Trotzdem habe ich mich sehr gut unterhalten gefühlt. Der Spaß war richtig dosiert und keiner wird diesmal wohl behaupten wollen, dass der Kriminalfall verdrängt worden sei. Und vor allem hab ich ein Duo gesehen, das sich trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten aufeinander verlassen kann.
Daumen hoch!
Links:
- Fanseitenartikel: Baggi über die Premiere
- Fanseitenartikel: Das Wunder von Wolbeck – Tatort Münster mal anders
- Artikel: “Von Ziegen, Bullen und unerfüllten Kinderwünschen” in der WAZ (November 2012)
- Artikel: “Die Lieblinge auf Mördersuche” im Kurier (November 2012)
- Artikel: “Zotenjagd zwischen Ziegen und Zuchtbullen” im Stern (November 2012)
- Artikel: Radio Runde Hamm zu ‘Das Wunder von Wolbeck’ (Novemer 2012)
- Artikel: “Warum Boerne und Thiel die Größten sind” stern.de zu 10 Jahre Tatort Münster (November 2012)
- Artikel: „Boerne und Thiel machen Schluß mit megalustig“
- Artikel: „Wir wollen nicht zwanghaft Gags verbraten“
- Video: Kurzes youtube-Video über die Premiere
- Video: Premierenapplaus aufgezeichnet für Jan Josef Liefers, der bei der Veranstaltung nicht dabei sein konnte (youtube). Von Jan Josef Liefers selbst mit Bildern unterlegt.
8. Dezember 2012 um 19:14
Ich mochte die Folge und habe mich ehrlich gesagt über die teilweise sehr harschen Kritiken gewundert. Daß im Münsteraner Tatort die Komik einen hohen Stellenwert hat, ist doch bekannt – wieso also das immer wieder kritisch anmerken? Das ist, als ob man einen Actionfilm bespricht und kritisiert, daß zuviel Action drin war. Eine Komödie ist eine Komödie ist eine Komödie.
Und auch nach mehrmaligem Anschauen finde ich den Film immer noch ziemlich gelungen. Gut, ein oder zwei Scherze waren grenzwertig – Boerne am Zaun hängenbleiben hätte ich jetzt nicht unbedingt sehen müssen. Kuhkacke muß ich auch nicht haben, wobei ich zugeben muß, daß die Szene eine gewisse Bedeutung für die Handlung hatte und insofern vielleicht doch sinnvoll war – klingt, als wollte ich eine Sexszene rechtfertigen … ;)
Aber den Fall fand ich beispielsweise gar nicht mal so unspannend, wobei das Motiv jetzt nicht die große Überraschung war. Aber das Thema ungewollte Kinderlosigkeit war gar nicht so unsensibel in Szene gesetzt. Und die NebendarstellerInnen waren durch die Bank sehr gut – auch die ganz kleinen Rollen, z.B. das Ehepaar mit dem Stillproblem. Als der Vater den beiden hintergelaufen ist und meinte, daß sie nicht wissen wollen, falls irgendetwas bei Heilpraktikerbehandlung nicht mit rechten Dingen zuging, habe ich wirklich mitgelitten. Von den beiden Frauen – der Frau des Mordopfers und der Frau des Mörders ganz zu schweigen. Was mit dazu beigetragen hat, daß das eben nicht nur Komödie und Klamauk war, sondern eine für mich durchaus gelungene Mischung aus Komik und Ernsthaftigkeit.
Da die NebendarstellerInnen mehr Raum bekommen haben, und mehr Zeit für die Thiel und Boerne Beziehung war, hatte der Rest des Stammensembles eher wenig Sendezeit. Das war schade, aber 90 Minuten sind eben nur 90 Minuten. Und die kurzen Szenen mit dem Rest der Truppe waren wenigstens alle gut.
Über das Verhältnis zwischen Thiel und Boerne ist ja schon viel gesagt worden, hier und im tatort_fandom. Ich war auch froh, daß die beiden sich zur Abwechslung mal wieder freundschaftlich gekabbelt haben. Gerade „Hinkebein“ und „Herrenabend“ waren in der Hinsicht Tiefpunkte. Das hier hatte wieder die richtige Mischung.
Persönliche Highlights gab es viele – z.B. Thiel, der dem Baby den Schnuller klaut. Alberich, die wutschnaubend auf Thiels Rad zurück nach Münster radelt. Das „Verhör“ in der Rechtsmedizin, bei dem Boerne fast alles ausplaudert, nachdem Thiel seinen professionellen Verhörblick eingesetzt hat ;) Boerne und Mimi … haarscharf an der Grenze zum Überzogenen, aber eben nur haarscharf. Überhaupt Boerne – auch hier wundert mich bei der Kritik immer wieder, daß vielen nicht klar ist, daß peinliche Momente zum Charakter gehören. Boerne ist oft peinlich und tut Dinge, für die man ihn schütteln könnte. Das eigentlich faszinierende ist ja, daß man ihn trotzdem mag. Und wenn man ihm das nehmen würde, die Fettnäpfchen, in die er tritt, oder die Schwierigkeiten, in die er sich verstrickt, weil er nicht zugeben kann, daß er einen Fehler gemacht hat – dann wäre das nicht mehr Boerne.
Wenn ich suchen würde, fände ich vermutlich auch was zum Kritisieren … aber dazu habe ich gerade keine Lust :) Das Fazit würde sowieso ganz überwiegend positiv beiben.
8. Dezember 2012 um 19:17
Word! Boerne ist Boerne ist Boerne ;)
8. Dezember 2012 um 20:20
Sehr gute Kritik, cricri. Ich hab’s noch nicht geschafft, mir die Folge ein zweites Mal anzusehen, aber sie gefiel mir schon beim ersten Mal wesentlich besser als „Hinkebein“.
Vielleicht liegt es daran, dass ich über einige tiefe Scherzchen wie den Kuhfurz im Vorfeld Bescheid wusste und von einer wesentlich blöderen Umsetzung ausging als es dann tatsächlich geworden ist. Eigentlich war das noch ein relativ zurückgenommener Gag. Da hat mich Boernes Pantomime einer Besamung schon eher genervt, aber wie du, Gabi und das Alte Testament es so schön sagt: Ein Boerne ist ein Boerne ist ein Boerne. ;-)
9. Dezember 2012 um 16:18
Hach, ich freu mich so, dass ihr beide (und noch ein paar Getreue) hier auch mal ausführlicher kommentiert :)
16. März 2013 um 15:06
Nachdem ich die Folge gestern ein zweites Mal gesehen habe, ist mir sehr viel klar geworden, mehr als ich erwartet hatte. Ich musste zwar eine Nacht darüber schlafen, aber hier mal meine Erkenntnis:
Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster und stelle folgende Behauptung auf: Es ist überhaupt nicht der Inhalt, der den meisten TO-Münster-Liebhabern hier aufstößt, der ist nämlich nicht besser oder schlechter als in jeder anderen MS-Folge auch. Es ist die Schnitt-, Bild- und Erzähltechnik.
Dass sehr hektische Bildwechsel erfolgen, war mir schon beim ersten Sehen aufgefallen, jetzt kam jedoch noch eine Beobachtung hinzu. Es sind nicht bloß wilde MTV-artige Schnitte, es sind auch permanente kleine Perspektivewechsel enthalten, und dieses Stilmittel zieht sich durch die gesamte Folge.
Beispiel: Wenn 2 Personen sich unterhalten, gibt es für gewöhnlich 3 Kameraeinstellungen: Person 1 frontal, Person 2 frontal, beide Personen gemeinsam in der Seitenansicht. Nicht so hier. Da gab es von jeder Person mindestens 3 Kamerawinkel, diese obendrein dicht aufeinanderfolgend, so dass das ganze wie eine bewegte Collage wirkte.
Das einzig, was mir dabei ständig im Kopf rumschwirrte war: KUBISMUS! Diese Folge ist aufgebaut wie ein kubistisches Gemälde – alle Perspektiven gleichzeitig und alle unterschiedlich.
Das macht schon ein wenig wuschig im Kopf, zugegeben, andererseits erklärt sich für mich damit auch, warum ich die Folge im Gegensatz zu den meisten anderen TO-Fans gut fand. Ich fand sie nicht als Tatort-Folge gut, sondern als Film, oder filmisches Kunstwerk, wenn man so weit gehen will. Nicht nur, weil ich Kubismus mag, sondern vor allen Dingen, weil ich ein absoluter Fan von gebrochener Erwartungshaltung bin – genau das, was der (ich verwende jetzt mal das böse Wort) Mainstream auf den Tod nicht ausstehen kann.
Und genau das war es, was der Mehrheit sauer aufstieß. Ihre optische und erzähltechnische Erwartungshaltung wurde komplett auf den Kopf gestellt.
Die Argumentation, die viele MS-Fans anführen, klingen ein wenig wie die Quadratur des Kreises: Platte Witze, Klamauk, schwache Krimihandlung. Wann aber bitteschön war eine MS-Folge je anders? Ich will den Sehern ihre Abneigung nicht absprechen, ich glaube nur, sie sind ihrer eigenen Wahrnehmung auf den Leim gegangen. Was die meisten wohl unbewusst wirklich gestört hat, waren nicht die Witze an sich, sondern deren Präsentation. Ich weiß nicht, ob es dem Regisseur mehr zu schulden ist als dem Cutter oder beiden, aber die bildliche Umsetzung war es im Wesentlichen, was diesen Tatort von anderen Münsteraner Folgen unterschied.
Eigentlich war das technisch eher ein Borowski-on-Speed-Tatort.
Mehr ein satirisches Kunstwerk denn ein Fernsehkrimi. Ähnlich wie – ich bleibe dabei – Murots „Das Dorf“, nur eben nicht mit Edgar-Wallace-Versatzstücken und Tukur-zentrierten Elementen (Klavierspielen muss der ja immer, er würde sogar in der Wüste irgendwo ein Pianino auftreiben oder notfalls eins herbeihalluzinieren).
Wo sich die beiden Folgen unterscheiden, ist die Art der Erwartungshaltung, die durchbrochen wird. MS-Folgen kommen meist sehr süffig-flüssig daher, nicht so kantig, abgehackt wie „Wolbeck“. Die Witze sind nach wie vor da, sie ERSCHEINEN lediglich anders, weil die Bildgebung und die Schnitte anders sind.
Der grundlegendste Unterschied besteht aber wohl darin, dass „Das Dorf“ nur eine Vorgängerfolge hate, „Wolbeck“ hingegen 21 sowie eine eingeschworene Erwartungshaltungsseherschaft. „Das Dorf“ hat die Tatort-Seher allgemein verstört, „Wolbeck“ die Münsteraner-Fans im Speziellen.
Wer wie ich mit Greenaway-Filmen aufgewachsen ist, tut sich mit „Wolbeck“ vermutlich weniger schwer. Nicht so sehr wegen des Kunstaspekts, sondern eben wegen des Ausbruchs aus der Gleichförmigkeit. Ich gestehe also: Als Tatort-Folge im allgemeinen und als MS-Folge im Speziellen hat „Das Wunder von Wolbeck“ nicht so ganz ins bisherige Format gepasst. Als Film war es interessant.
16. März 2013 um 15:39
Interessant. Ich habe nicht dein Hintergrundwissen, kann aber gut nachvollziehen, was du schreibst. Vermutlich hat mir die Folge gefallen, gerade weil sie Erwartungshaltungen durchbricht; endlich mal etwas anderes, endlich wurde etwas gewagt. Und was die Witze angeht, ich bleibe dabei, es sind sogar weniger als in einer durchschnittlichen Münster-Folge, wobei die Derbheit dem ländlichen Setting geschuldet ist und absolut sozusagen biologisch-organisch in den Kontext passt. Dass so viele meinen, es sei ‘zu viel Klamauk’, ‘zu albern’, hängt sicher mit der von dir erwähnten Erzähltechnik zusammen. Borowski-on-Speed trifft es ziemlich gut. Aber Borowski darf das, Murot darf das, die Münsteraner offenbar nicht. Ein Hoch auf die Schublade *sigh*’
24. November 2016 um 19:04
Ich muss gestehen, für mich definitiv einer der schlechtesten Tatorte. Das hat für mich fast gar nichts mehr mit Krimi zu tun. Es war mehr Comedy. Die Richtung fand ich definitiv falsch. Dass die Münsteraner Tatorte nicht die Spannensten sind, ist klar. Muss auch nicht, aber hier war der Übergang zum Klamauk schon haarscharf grenzwertig.