Jan Josef Liefers

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Soundtrack meiner Kindheit – Buchrezension

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soundtrack meiner kindheit coverEin Wort vorneweg…

Jemand wie ich, die im tiefsten Südwesten Deutschlands verwurzelt ist und aus einer Generation stammt, die ein geteiltes Land nur noch aus dem Geschichtsunterricht kennt, gehört nicht unbedingt zu der Sorte Zielpublikum, die sehr viele Berührungspunkte mit der Zeit der DDR hat. Was ich mit diesen drei Buchstaben verknüpfte, waren vor allem endlose Vorträge über Politik und ein allzu vereinfachtes Schwarz-weiß-Denken, das sich schwer revidieren ließ. Ich machte mir später keine großen Gedanken mehr darüber.

Ich gebe zu, ich war auf der Suche. Wonach? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht so genau. Ich hatte gerade damit angefangen mich mit einem versnobten Rechtsmediziner aus einer bekannten deutschen Krimiserie anzufreunden, da stieß ich bei meinen Streifzügen im World Wide Web auf dieses Buch: Soundtrack meiner Kindheit.
Ungewöhnlicher Name für ein Buch, fand ich. Trotzdem kaufte ich es und hatte es innerhalb von zwei Tagen komplett durchgelesen, was für meine Verhältnisse doch relativ schnell ist. Ich war sogar so begeistert, dass ich zum ersten Mal etwas tat, was ich sonst eigentlich selten tue: ich fing an, meinem Bekanntenkreis zu empfehlen, dieses Buch zu lesen. Einer Person legte ich es besonders ans Herz, weil ich wusste, dass sie zur selben Zeit im selben Land aufgewachsen war, doch alles was ich bekam war die ernüchternde Antwort: „Da war ich selbst, da brauch ich nicht auch noch ein Buch darüber lesen.“

Ich erzähle das, weil ich jedem Leser hier die Illusion nehmen will, dass diese Rezension in irgendeiner Form objektiv verfasst ist. Die einen werden meine Begeisterung vielleicht verstehen und teilen, andere werden nur müde lächelnd den Kopf schütteln. Es ist ein bißchen wie mit einer Touristengruppe. Alle machen die gleiche Reise, aber am Ende hat doch jeder etwas anderes gesehen. Und auf meine kleine Safari will ich euch jetzt mitnehmen.

Film ab!

Nach dem Fall der Mauer verbrachte ich viel Zeit in Westberlin. Ich besuchte eine junge Frau, in die ich mich verliebt hatte. Sie stammte aus Ostberlin, war aber schon vor einem Jahr in den Westen gegangen. Jetzt bewohnte sie ein Zimmer in einer WG in Kreuzberg 36. Frida war, wie ich fand, eine begabte Fotografin.

Mit diesen Zeilen beginnt das Buch, wo es später auch wieder enden wird: in Berlin, kurz nach der Wende. Wenn man durch die Seiten blättert, findet man sich fast weniger in einem Buch, als in einem Film wieder. Die einzelnen Kapitel sind in Vorspann, Aufblende, Rückblende usw. untergliedert und bilden damit ein Gerüst in dem man sich fast wie ein Zuschauer vor einem geöffneten Fenster zur Vergangenheit fühlt.
Die Struktur ist kein Zufall. Zu seinem 40. Geburtstag bekam Jan Josef Liefers von seinem Vater einen alten 8mm-Film geschenkt. Es waren Ausschnitte seiner Kindheit, die der Vater auf einer alten Zenit Quarz 8 Kamera aufgenommen hatte. Diese Ausschnitte sind es, die als Aufhänger durch das ganze Buch führen. Mal stumm, mal mit Ton, mal in schwarz-weiß und dann später in Farbe.

Der Leser kann diese Aufnahmen natürlich nicht sehen, bekommt aber eine sehr genaue Vorstellung durch die drehbuchartigen Schilderungen. Wohl aber sieht er die Fotos, die immer passend eingestreut sind und eine wichtige Gedankenstütze bieten. Andererseits empfinde ich diese raren, immer etwas unscharf geratenen Schwarz-Weiß-Abzüge mit den geschnittenen Zierkanten inzwischen als etwas Wertvolles. Wir haben von unseren Kindern terrabyteweise perfekte JPEG-Dateien angesammelt, die anzuschauen Monate dauern würde.

Die Musik einer Generation

Der Titel des Buches ist Programm. Die Puhdys, Lift oder Karat, für mich alles böhmische Dörfer ohne PuhdysWiedererkennungswert. Wie auch? Jeder Mensch wächst mit der Musik seiner Generation auf. Doch die stummen Liedzeilen am Ende der Kapitel erwachen dann zum Leben, wenn man sich die Mühe macht, die Songs nachzuhören und damit meine ich nicht nur Liefers‘ leidenschaftliche Eigeninterpretationen, sondern Originalaufnahmen. Das Internet bietet dafür ja heute viele Möglichkeiten. (Selbst den erwähnten Film L’Arroseur arrosé findet man dort.)

Geschickt gelingt es ihm, Musik und Episoden seines Lebenswegs zu verbinden, ob er nun von Vineta der Pudhys zum Osteseeurlaub schwenkt, durch Karats Und ich liebe dich über seine ersten Erfahrungen mit Mädchen spricht, oder anhand von Manfred Krugs Verdammt die Tücken des Telefonierens in der DDR zu erklären versucht.
Die Musik als Zugang zu bestimmten Gefühlen, mögen es nun Sehnsüchte oder Aggressionen sein, ist ein essentieller Bestandteil dieses Buches.

Eine bestechend menschliche Art

Sein Stil ist locker, humorvoll, charmant, nicht selten mit einem amüsant trockenen Zynismus, der einem unweigerlich zum Lachen bringt; dann wieder ernst und tiefgründig, aber nie in einer Weise dramatisierend, dass es übertrieben wirkt. Gerade in ernsten Passagen überrascht er gerne mit witzigen Einschüben, um den Leser nicht zu überfordern. Allein und ohne Geduld schaue ich mir den Film einmal komplett an. Geräuschlos zeitspringt er durch meine Kindheit und Jugend. Dabei merke ich, dass ich mich an fast alles sehr gut erinnern kann. […]Was ist das für ein Gebäude, da rechts? Und was steht dort auf diesem Schild? Dahinten, in der Unschärfe, kotzt da einer? Ach nein, der spielt Saxophon.

Er vereinnahmt den Leser durch die bestechend menschliche Art, mit der er durch das Buch führt. Man könnte sagen ‘Ja, bei einer Autobiografie ist es ja ganz normal, dass sie subjektiv verfasst ist‘, doch persönlich ist nicht gleich persönlich. Man hat das Gefühl, dass Liefers bereitwillig seine Welt offenlegt, ohne zwanghafte Sensationsgier zu erzeugen. Man spürt die Begeisterung, wenn er von der Theaterwelt erzählt, man trauert mit dem Tod seiner Oma Hilde, und man schüttelt schmunzelnd den Kopf, wenn er freiheraus von seinen Jugendstreichen erzählt.

Im Kreis der Familie

JJL_Soundtrack meiner KindheitDer rote Faden folgt keiner streng chronologischen Reihenfolge, sondern gedanklichen Assoziationen, vor allem im Zusammenhang mit den Liedern. Zeitlich setzt er sehr früh ein, nämlich mit der Zeugung durch die Eltern. Ich wurde im November 1963 eines Nachts unter nicht sonderlich spektakulären Umständen in Dresden gezeugt.[…] Aber nach einigen halbherzigen Versuchen aus dem reichen Schatz häuslicher Selbsthilfemittel wie sehr heiße Bäder, Rotwein mit Nelke und anschließenden Sprüngen vom Kleiderschrank war klar, die Frucht saß fest, das Zellklümpchen zeigte sich unbeeindruckt und teilte sich normgerecht weiter.
Damit führt er auch gleich ein entscheidendes Element des Buches ein, nämlich seine Familie. Sie ist der Kern so vieler liebevollen Schilderungen und Anekdoten, die erheitern und bewegen.

Gleichzeitig bekommt man aber auch zahlreiche amüsante Anekdoten serviert, die man teilweise schon von den Konzerten kennt, etwa die Prügelei am ersten Schultag, die Erfahrungen mit seinem Gitarrenlehrer oder eine wirklich nützliche Anweisung, was man bei einem Atombombenabwurf zu tun hat.  

Die Frauen der Familie bleiben durch seine gesamte Kindheit und Jugend hinweg immer die wichtigsten Bezugspersonen für ihn, nicht zuletzt weil sich die Eltern scheiden lassen, als er vier Jahre alt ist und der Vater von da an nur noch zu Gast in seiner Kindheit ist.
Damit kein falscher Eindruck entsteht, mein Vater war ein großartiger Mensch. Er konnte nur mit einem Kindsein nicht umgehen.
Vielleicht schwingt hin und wieder auch ein wenig die Trauer um den Verlust des Vaters mit, der nur einige Jahre vor der Veröffentlichung des Buchs an Krebs starb.

Der geborene Schauspieler

Die Schauspielerei ist ihm praktisch in die Wiege gelegt. Nicht nur weil seine Eltern und sein Großvater diesem Beruf nachgingen, sondern auch weil der Vater schon dem kleinen Jan für die privaten Filmaufnahmen klare Regieanweisungen erteilte. Trotzdem ist es nie sein unumstrittenes Berufsziel. Wegen meiner Eltern hörte ich von anderen Leuten immer wieder, dass ich bestimmt auch mal Schauspieler werden würde. Das klang ein bisschen, als sei bei mir sowieso Hopfen und Malz verloren, als bliebe mir am Ende gar nichts anderes übrig. Das ärgerte mich, und ich antwortete stereotyp: Nie! Niemals werde ich Schauspieler!

Dennoch fühlt er sich schon als kleiner Junge im Theater wohler, als im Kindergarten und: nach dem Film Leuchte, mein Stern, leuchte von Alexander Mitta beschloss ich im Dunkel des Zuschauerraums, Schauspieler zu werden.
Später studierte er an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin, aber erst nachdem er eine Tischlerlehre absolviert hatte,denn das Abitur war ihm als Künstlerkind, das nicht freiwillig einen Ehrendienst bei der NVA ableistete, verwehrt geblieben. Als Leser bekommt man einen sehr genauen Einblick in das nicht immer ganz einfache Leben eines jungen Schauspielers, der sich seinen Platz erst noch erkämpfen muss und dem ein schlechtgesinnter Kritiker auch schnell mal das Genick brechen kann.

Ein Leben in der DDR

Die Beschreibung dieses Lebenswegs ist gespickt mit Namen, die mir leider gar nichts sagten, während andere Leser sicher ihre eigenen Erinnerungen damit verknüpfen können. Gerade deshalb ist das Buch all jenen zu empfehlen, die diese Zeit selbst miterlebt haben. Das Gelungene daran ist aber, dass man weder überschwängliche Ostalgie, noch verdammende Verteufelung zu lesen bekommt. Obwohl ihm das SED-Regime hin und wieder Steine in den Weg legte, stellt er absolut klar, dass er kein „Opfer“ war.

Wie alle anderen auch lernte er, sich Schlupflöcher zu suchen, um nicht irgendwo anzuecken. Eine wirkliche Angst vor der Stasi kannte er nicht und selbst als er einmal mit einem Freund versehentlich (!) in den gesperrten Grenzstreifen zwischen Ost- und West-Berlin geriet, war die Begegnung mit den Wachmännern mehr irritierend, als bedrohlich.
Zum Verhängnis wäre ihm nur beinahe ein kritischer Brief geworden, den er als – eher widerwillig berufener – FDJ-Sekretär bei einer Sitzung schrieb und für den er beinahe von der Schauspielschule geflogen wäre.

Ein ausschlaggebendes Ereignis in seinem Leben war die Begegnung mit der amerikanischen Schauspielerin Jane Fonda Demo Alexanderplatz 19891990. Auf die Frage hin, wie es denn nun war, in der DDR aufzuwachsen, stellte sich bei Jan Josef Liefers Ratlosigkeit ein, wie man das überhaupt erklären sollte. Das Leben in der DDR war komplexer, als man sich das vorstellt, wenn man nur jenes Bild kennt, das der Staat von sich nach außen projiziert hat.

Es ist die Erfahrung missverstanden zu werden, der Wunsch nach Selbstverwirklichung, das Widerstreben sich veralteten Regeln unterzuordnen und sich in die Masse – in das Kollektiv – einzugliedern, was in diesem Buch unabhängig von Zeit und Ort ist. Würde man das Setting DDR in den 70er/80er komplett streichen, würde man sich darin ohne weiteres wiedererkennen. Viele Träume und Probleme sind zeitlos.

Liefers war kein Rebell, aber er ließ sich auch nicht unterkriegen. Er hatte das Glück, dass Hans-Peter Minetti, der Leiter der Schauspielschule, große Stücke auf ihn hielt und seinen Wehrdienst trotz zahlreicher Einberufungsbriefe immer wieder hinauszögerte. Und er zog es vor, das System friedlich zu verändern, anstatt aus der DDR zu fliehen. Er verfasste Protestbriefe und trat als Redner auf einer Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz auf.

Nebenbei erhält man Einblick in Dinge, die wir heute so nicht mehr kennen: die Tücken der Planwirtschaft, Kohleschleppen im Winter, die Jugendweihe, die Pflicht zur Maidemo. Vielleicht sind es gerade diese Eindrücke, die ich aufgesogen habe wie ein Schwamm, weil es etwas ganz anderes war, als das endlose Durchkauen politischer Zusammenhänge. (Versteht mich nicht falsch! Der Geschichtsunterricht war eines meiner Lieblingsfächer, nur leider wurden die Schwerpunkte ganz anders gesetzt, als ich es gerne gehabt hätte.)

Fazit

Es ist kein Schicksalsroman mit unglaublich dramatischen Ereignissen. Es ist kein Lehrbuch und auch keine Konservenbüchse. Erinnerungen, so schreibt er, sind eine süßsaure Nachspeise, die mit Vorsicht zu genießen ist.

Gerade deshalb ist es also nicht einfach eine Rekapitulation für all jene, die diese Zeit selbst miterlebt haben. Ich habe viel gelernt, viel gelacht und nebenbei auch oft über mein eigenes Leben nachgedacht. Ich kann jedem nur empfehlen, sich selbst ein Bild zu machen, denn es ist ein wirklich unterhaltsames Buch, voller Fröhlichkeit, Zuneigung und Tiefgründigkeit.

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