Oder: Wenn’s beim Kritiker zweimal klingelt
Ein Gastbeitrag von Christian Wolters. Danke dafür!!
Sagen Sie mal, geht Ihnen das auch so, dass Sie manchmal an die Existenz von Paralleluniversen glauben? Ich glaub’ ja sonst an nicht viel, schon gar nicht im religiösen Sinn, aber an ein Paralleluniversum glaube ich fest. Ganz fest sogar.
Sie waren doch bestimmt auch schon mal auf einer Veranstaltung, von der Sie kurze Zeit später in den Print- oder Online-Medien eine Rezension finden, die Sie schnell in Gewissenskonflikte treibt: War ich tatsächlich in derselben Show? Hat der Autor sich in Ort oder Datum vertan? Fühlt sich so ein Wachkoma an?
Die Antwort ist üblicherweise sehr nüchtern, denn viele Kritiker leben ihre Profilneurose unter dem Deckmäntelchen des Journalismus in einer Weise aus, die dem geneigten Leser zunächst einmal Selbstzweifel suggerieren. War das laute, frenetische Klatschen der Fans doch nur gespielt, die Begeisterung in den Augen um mich herum nur Einbildung?
Das sind die Momente im Leben, in denen erste Zweifel an der Präzision und Intention des Grundgesetzes aufkommen. Redefreiheit und Pressefreiheit sind dankenswerterweise verankert, nicht aber Dieter Nuhrs wichtiger Anhang: “Wenn man keine Ahnung hat, einfach Fresse halten.” Eine Losung, die sich womöglich gut entlang der Fassade der Henri-Nannen-Schule machen würde, gleich unter Edward R. Murrow’s “Accuracy First”.
Viele Zeitungen und Onlinepublikationen sehen das anders. Die beschäftigen Leute, die sich ihren Lebensunterhalt damit verdienen, anderen Menschen in weiser Voraussicht zu diktieren, was ihnen gefallen soll und was nicht. Das geschieht zunehmend beleglos, belanglos und folgenlos. Mit der Realität haben viele dieser Rezensionen so wenig zu tun, dass sich mir der Elfenbeinturm ins geistige Auge schiebt. Sie wissen schon, der aus dem Paralleluniversum.
Journalist, das war auch mal so ein ehrenhafter Titel für einen angesehenen Beruf. Mehr noch: eine Berufung. Bis dann vielen Tastenschubsern klar wurde, dass diese Berufsbezeichnung nicht geschützt ist wie zum Beispiel Arzt oder Rechtsanwalt. So darf sich jeder Journalist nennen und gelinde darauf scheissen, was der Begriff eigentlich umschreibt und welche Bedeutung dieses Wort einst hatte. Man rufe sich nur Sternstunden des Journalismus wie Woodward & Bernstein mit der Watergate Affäre in Erinnerung. Da wurde noch recherchiert, da zählten noch Fakten, da gab es sogar noch die Sache mit der Absicherung durch mindestens zwei Quellen.
Wer sich heutzutage ein schnelles Bild davon machen will, wie weit der echte Journalismus zum Strauchdieb verkommen ist, der braucht sich nur der gleichnamigen Tageszeitung zu widmen. Üble Nachrede und komplett erfundene Geschichten jeglicher Couleur haben hier fliessende Übergänge, harte Fakten und neutrale Agenturmeldungen sind praktisch nicht zu finden. Alles ist sprachlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner eingedampft, kein noch so mickriger Artikel kommt ohne fest eingebaute Meinung daher.
Dass andere Medien in ihren gedruckten oder online veröffentlichten Werken inhaltlich deutlich besser sind, lässt sich immer weniger häufig behaupten. Aktuelles Beispiel ist der jüngste Tatort aus Münster mit dem Titel “Mord ist die beste Medizin”. Die Kunstfiguren Thiel und Boerne setzen mit ihren unkonventionellen Ermittlungsmethoden regelmäßig neue Bestmarken in den Quoten. Wer heute noch gut jeden dritten deutschen TV-Zuschauer bei der Erstausstrahlung vor die Glotze ziehen kann, kann doch nicht wirklich viel falsch machen, oder? Liefers, Prahl & Co. haben hier eine fernbediente Wahlbeteiligung, von denen andere nur träumen.
Nun, wenn Ihnen die aktuelle Folge so gut gefallen hat wie mir, dann fragen Sie sich bestimmt auch, in welchem Paralleluniversum die Kritiker von Spiegel online und Die Welt wohl leben? Die haben quasi unisono in ihren jeweiligen Kolumnen “Mord ist die beste Medizin” in einer Art verrissen, wie sie dümmer und dreister kaum hätte sein können. Ich erspare mir hier bewusst die Verlinkung, Sie können sich diese Desaster gerne selber googeln.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich habe nichts gegen Meinungen, die von meiner abweichen. Und nicht jede andere Meinung muss automatisch schlecht sein. Wenn allerdings persönliche Wahnvorstellungen mit Tatsachen vermengt werden, wenn fiktive Verhaltensmuster quietschender Kreide gleich an der Realität gemessen werden, dann habe ich ein Problem damit. Elmar Krekeler (Die Welt) und Christian Buß (Spiegel online) offenbar nicht.
Krekeler ist seit 1989 Redakteur für Die Welt und aktuell stellvertretender Ressortleiter Feuilleton. Da ist es deutlich mehr als nur ein Tippfehler, wenn selbst nach 26 Tatort Münster Folgen in unveränderter Besetzung aus Jan Josef Liefers Figur Professor Boerne wiederholt “Professor Dr. Börne” gemacht wird. Kleinigkeit, denken Sie? Journalistische Sorgfaltspflicht, meine ich!
Schlimmer aber ist der latente Konflikt, den Herr Krekeler mit der Aussage des hypochondrischen Boerne zu seinem Zimmergenossen hat: “Einer jüngst veröffentlichten Studie zufolge erhöht Cannabiskonsum das Hodenkrebsrisiko um bis zu 70 Prozent.” Der Satz fällt zu Beginn des letzten Drittels der Tatort Folge, Herr Krekeler umrahmt seinen Artikel damit und gibt seiner Geringschätzung für die gesamte Produktion weiter Ausdruck: Gehirnerweichung beim Zuschauer, Lächerlichkeitsfalle, Kabbelei-Routine, Flachland der Klamotte, lustiges Apothekersterben, dünn wie Krankenhaustee, schmalbrüstiger Plot, herzlich schlecht gespielt, die Dramaturgie hat Rücken vom ständigen Durchhängen.
Kann es sein, dass Sie als 63er Jahrgang bis heute nicht über die zu späte Geburt hinweggekommen sind, um als echter 68er die Welle machen zu können? Warum zieht sich diese Cannabis Äusserung von Boerne wie ein roter Faden durch Ihren Artikel? Ein Journalist wäre vielleicht mal dem Wahrheitsgehalt dieser Aussage nachgekommen, oder? Schon klar, Fakten sind nicht sexy, Meinungsmache irgendwie schon. Und wenn schon all diese herabwürdigenden Ausdrücke, ist das eigentlich nicht mehr hip, aufgestellte Behauptungen auch zu belegen?
Falls sich jetzt jemand fragt, warum ich Herrn Krekeler so persönlich angehe, dann frage ich zurück, mit welcher Motivation er sich Herrn Liefers gegenüber derart unverschämt zeigt? Zitat: “Börne, dem man eine absurde Frisur (er trägt die Implantate von Elton John auf) und eine teure Fitnessbehandlung (Sixpack!) spendiert hat, wähnt sich […].” Sieht man so was nur, wenn man high ist? Oder auch schon dann, wenn man, wie Sie schreiben, “reif ist für eine Tüte Gras”? Hab’ ich da wirklich was verpasst, selbst nach dreimaligem Betrachten?
Da frage ich mich, ob es nicht gereicht hätte, einfach zu schreiben: Leute, mir gefällt der Film nicht, ich geh’ lieber auf den Balkon und rauch mir eine Tüte selbstgepflanztes Gras. Oder: Ich mag den Liefers nicht, weil meine Frau den geil findet. Nein, statt dessen wird ein ganzer Berufsstand verunglimpft und in weiser Voraussicht über 13 Millionen deutsche Fernsehzuschauer als Vollpfosten kategorisiert, die weder Ahnung noch Geschmack haben. Dazu noch die ungezählten Millionen im Ausland sowie online Zuschauer. Ach ja, und selbst die Wiederholungen in den Dritten erzielen Traumquoten. Seltsam.
Ich freue mich jedes Mal wie ein Kind zu Weihnachten auf eine neue Folge aus Münster. Was der WDR hier vor einem guten Jahrzehnt aus der Taufe gehoben hat, zählt für mich zur besten Unterhaltung, die überhaupt im Fernsehen läuft. Das war ganz besonders mutig, weil es eben dieser langlebigen Kultserie, die ja allgemein eher recht dröge daherkommt, zumindest aus Richtung Münster mit etwas frischem Wind umgeben sollte. Aus meiner Sicht hat das nun über zwei Dutzend Mal wunderbar geklappt, auch ohne dass dabei das altehrwürdige Grundformat verschrammt wurde.
Typischerweise identifizieren sich Tatort Zuschauer wie alle anderen als Liebhaber oder Hasser dieser Serie, gerne auch irgendwo dazwischen nach dem Motto “Gucke ich mir ab und zu mal an.” Woher allerdings der Drang kommt, eine immer erfolgreicher werdende Sendereihe derart zu verunglimpfen, ist mir vollkommen schleierhaft. Ihr Artikel ist fundamentlose Schelte auf unterstem Niveau, Herr Krekeler. Oder ist die Logik hier, dass je mehr Zuschauer desto schlechter die Sendung? Demnach müssten Fussball-Länderspiele ja die reinste Apokalypse sein.
Herr Buß vom Spiegel online findet in anderthalb Stunden Münsteraner Tatort nur eine gute Szene, wie er schreibt, und echauffiert sich über “Pointen wie ausgelatschte Schlappen”, lamentiert über sediertes Timing und eine schleppende Handlung, obwohl Drehbuchautorin und Regisseur doch schon viel bessere Arbeiten abgeliefert hätten. Seine Kritik gipfelt in den beiden letzten Sätzen: “Dieser Comedy-Pfusch über Krankenhaus-Pfusch ist nicht komisch. Hat mal jemand eine Dosis Lachgas?” Oder mit dem Krekeler eine Tüte auf seinem Balkon teilen?
Ich habe mir vorgenommen, den WDR zu bitten, mich ab sofort auch für die Pressevorführungen des Tatort Münster einzuladen. Mich beklemmt das Gefühl, dass diese schlimmen Menschen vom Kölner Wallraffplatz ganz stickum all die guten Gags und intelligenten Verbalgefechte für die Medienbegutachtung rausschneiden und erst kurz vor der Ausstrahlung wieder einsetzen. Oder vielleicht zeigen die auch nur eine nachgespielte Version à la Augsburger Puppenkiste? Anders ist jedenfalls nicht zu erklären, was die Herren Krekeler und Buß da vor Augen hatten. Bei aller Liebe: Mit Journalismus hat das nichts zu tun, aber auch rein gar nichts.
So gerne ich auch andere Tatorte schaue, gefällt mir das Münsteraner Team am besten, auch und gerade schauspielerisch. Was allein Jan Josef Liefers handwerklich zu bieten hat, ist von keinem anderen Darsteller dieser Serie erreicht. Dieses liebenswerte Arschloch von Professor Boerne muss man erstmal so spielen können! Und der Rest des Teams vor und hinter der Kamera steht diesem herausragenden JJL kaum nach, die gesamte Chemie stimmt. Und das, obwohl es von Folge zu Folge Wechsel in Drehbuchautor/in und Regisseur/in gibt und die selbstauferlegte “permanente Gegenwart” ihre eigenen Herausforderungen bietet.
Manchmal sinniere ich über die Möglichkeit, ob man aus dieser Konstellation nicht eine wöchentliche Serie machen könnte, so ähnlich wie die über Jahre erfolgreiche US-Produktion “Scrubs”. Wahrscheinlich wäre es zu viel des Guten, aber ich würde es verschlingen! Mehr noch als die Vorstellung, dass der Tatort Münster mal ins Kino kommen soll – denn hier ist mir nicht ganz klar, wo der markante Unterschied zum TV Format liegen soll.
So oder so, die Herren Krekeler und Buß werden noch einiges zum Kotzen vorgesetzt bekommen. Vielleicht erleben wir Leser noch, dass die Beiden ihrem Berufsbild gerecht werden. Vielleicht sollte man ihnen mal eine Folge von “Kottan ermittelt” als Strafarbeit aufbrummen; nur um zu sehen, ob die eigentlich noch einen Puls haben.
Ein Spiegel online Leser mit dem Usernamen bietho brachte es am 18.10.2013 unter der Überschrift “Spielverderber” mit diesem Beitrag auf den Punkt: “Ich lass mir doch den Münsteraner Tatort nicht durch eine gute Rezension vermiesen.” Chapeau!
3. November 2014 um 10:13
Ich bin ein grosser Fan des Pathologen Dr.Siri , gelesen von Jan Joseph Liefers. Ich habe monatelang auf das neue Hoerbuch gewartet. Und nun das-der neue Krimi nicht gelesen von J.J.L. , ich bin maßlos enttäuscht und auch verknatzt.
E.S.
3. November 2014 um 15:26
Daran können auch wir nichts ändern. Es ist ärgerlich, aber man muss es so akzeptieren.